Handlungsfähig sein

Als Feministin, als Teil einer politischen Linken. In Deutschland.
Als weiße, ableisierte Feministin,
Als Mittelstandskind, als AkademikerInnentochter.
Als Cis-Frau, ohne Migrationshintergrund.
Als Freak und Punk, als Teil diese und jener Szenen.
Als Autobesitzerin (ehem.), als Ausweisbesitzerin, als Krankheitsgeschichtebesitzerin.

Am Anfang war die Analyse,

und unsere Herzen waren wüst und leer

denn es waren finstere Aussichten

und der Geist der Entrüstung schwebte durch unseren Plena.

Mir sagt ein Freund, was die Linke jetzt noch machen kann, ist Kritik an ideologischer Aufrüstung der politischen Feinde (er hat nicht Feinde gesagt, solche Worte stehen ihm nicht). Was uns handlungsfähig macht soll sein, das Schlimme, das Einengende, das Diskriminierende, Tötende, Vergewaltigende, […], anzuprangern?
Ich liege in einem Meer aus bunten Moderationskarten, Vorschläge für die politische Tat. Vorschläge für die nächsten Wochen. Mindmaps. Ich liebe Methoden.
Mir wird schnell klar, dass ich anprangern, kritisieren, stören will, dass ich Analysen schreiben und lesen möchte, dass ich diskutieren möchte über gesellschaftliche Missstände, über Kapitalismus, über Misogynie und Heterosexismus, Rassismus und Antisemitismus.

Aber ich will mich auch selbst empowern. Ich möchte handlungsfähig sein in dem was mich ausmacht, als politisches handelndes Subjekt. Nicht als revolutionäres Subjekt, dass irgendeinen Kommunismus herbeiführen wird, sondern als Person, hier und jetzt (Kommunismus wäre natürlich auch schön, keine Frage). Da muss noch mehr sein, als Kritik. Und wehret denen, die meinen, was über die Kritik hinausgehe, müsse notwendigerweise Ideologie sein, Ideologie als falsches Bewusstsein, als Verschleierung der Verhältnisse, als Stütze des gesellschaftlichen Systems gar(!).

Ich erinnere mich an Freundinnen von früher, die jeden Reformismus ablehnten mit der Argumentation, es würde das System stabilisieren. Schon klar: Rezeptfreie Pille, legale Schwangerschaftsabbrüche oder kostenfreier ÖPNV würden den Unmut der revolutionären Massen sicher senken, guter Kapitalismus, für mich eben. Word merkt mir an, dass „guter Kapitalismus“ keine grammatikalisch korrekte Form ist, welch Ironie.
Da ich nun in Hohn und Satire zu fallen gerate, möchte ich zu meinem Punkt zurückkommen:

Was ich wirklich will: Nicht nur für mich, ein besseres Leben. Schon jetzt. Empowernd kann sein, mit Vulva zu lernen, im Stehen zu pinkeln. Auf eine feministische Demo gehen und laut sein, Auffällig, verrückt vielleicht, Sprechchöre auslösen, die nicht grölenden Fußballfans gleichen.
Mit Worte aneignen: Zickig sein, hysterisch sein, pervers sein, dick sein, …
Andere Menschen empowern, sich wohl zu fühlen, mit mir, mit sich, mit anderen.
Meine (Nicht-)Sexualität entdecken und darüber sprechen können.

Mich selbst akzeptieren: Ein großes Vorhaben, vielleicht das größte, vielleicht das Kritischste, was ich tun kann.
Ich bemale eine wundervoll duftende Pappschachtel mit Acrylfarbe und lege bunte Karteikarten hinein. Auf die einen kommen positive Eigenschaften von mir. Auf die anderen kommen Dinge, die ich für mich gerne tun mag.

Selbstwertschätzung als oberste Maxime, denn welche Frau darf sich unter gegebenen Umständen (!) akzeptieren.

Meine pickelige Haut etwa ist schön, meine runzeligen Finger sind es auch, und meine Beulen an den Beinen. Es fällt mir schwer, mir selbst zu glauben, dann wieder weiß ich, dass ich Recht habe.
Ich bin handlungsfähig. Die Welt schreit nach mir und ich schreie zurück.
Ich kann für meine Taten einstehen, ich kann meine Taten verändern. Ich bin tatendurstig.

Und von fern her sprach eine Stimme: Es ist ok so wie du bist.

Und ich sah, dass die Stimme Recht hatte.

Dass es nicht nur Tag und Nacht gab,

sondern auch Dämmerung

Und ich nannte diese Dämmerung: Selbstermächtigung

Da ward aus emanzipatorischen Ansprüchen und Ohnmacht angesichts sich verschlimmernder Zustände die erste
Erkenntnis.

 

Von Cold

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