Lass mich in Ruhe, man!

„Du willst doch nur anders sein.“

„Musst du dir die Achselhaare jetzt auch noch färben, um zu betonen, dass du die Norm brichst?“

„Rebellion, schon klar.“

„Anders aus Prinzip, oder was?“

„Gib’s zu, du willst provozieren mit deinen abrasierten Haaren.“

UND WENN?!

Dann ist das trotzdem, was ich will. Dann habe ich mich trotzdem dafür entschieden. Weil sich anders manchmal besser anfühlt. Weil’s nicht die verquirlte Scheiße ist, die mir jahrelang – zwei Jahrzehnte lang – vorgesetzt wurde als „so macht man das eben.“

Und deshalb muss ich mir anhören, sobald ich irgendetwas anders mache als man, dass ich das ja sowieso nur tun würde, um anders zu sein. Oder, dass ich ja zumindest nicht leugnen könne, dass das Anderssein einen gewissen Einfluss darauf habe, dass ich mich mit kurzen Haaren, unrasiert, barfuß, auf dem Boden sitzend, das Studium abbrechend wohler fühle.

Ich werfe doch auch nicht dauernd Leuten vor, dass sie etwas sowieso nur tun, um nicht aus der Reihe zu tanzen und so zu sein wie die allermeisten. Menschen fühlen sich nun mal wohl mit a oder b oder keinem von beiden. Klar haben Normen da Einfluss. Einfluss auf’s Abweichen und Einfluss auf’s Mitgehen.

Warum müssen sich ständig die Menschen rechtfertigen, die die Norm brechen? Warum muss ich mich dafür rechtfertigen, keinen Sex mit meinem Freund haben zu wollen? Und warum fühle ich mich deshalb auch noch schuldig? Weil „man in einer romantischen Zweierbeziehung miteinander schläft.“

Vor zehn Jahren

„Mama, warum darf ich mich nicht schminken?“ – „Dafür ist man in deinem Alter noch zu klein.“

„Warum darf ich nicht mit Fingern essen?“ – „Das macht man nicht.“

Wer ist dieser man?

Völligen Schwachsinn hat der sich ausgedacht. „Man schläft in einer romantischen Zweierbeziehung miteinander.“ „Man isst mit Messer und Gabel.“ „Man räumt auf, wenn Besuch komm.“ „Man drängt sich nicht in den Vordergrund.“ „Man muss auch mit sich allein sein können.“ „Man greift nicht zuerst in die Schüssel am Tisch.“ „Man rasiert sich die Beine, die Achseln, den Venushügel – aber nicht den Kopf.“

„DAS MACHT MAN NICHT.“

Was juckt mich dieser man? Ich höre so viel von ihm und hab ihn noch nie gesehen. Er versteckt sich überall und lässt sich doch nie fangen. Jeder Mensch scheint ihn zu kennen. Aber kein Mensch kann mir sagen, wo ich ihn finden und zur Rede stellen könnte. Denn da ist so einiges, was ich ihm zu sagen hätte!

„Misch dich nicht ein!“ würd ich ihm sagen. „Lass mich mein Leben leben und tu nicht so, als käme ich nicht ohne dich aus! Ich brauch dich nicht, ich will dich nicht! Ich hab dich nie gesehen und trotzdem bestimmst du mein Leben seit ich es lebe. LASS MICH IN RUHE!“

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